Auf dem Weg zur Arbeit, bei meinem morgendlichen Gang über den Makerere Campus, wurde ich am Freitag den 23.11.2012 auf ein Flugblatt aufmerksam. Dieses war auf dem Bürgersteig platziert und lud zu einer Veranstaltung mit dem Titel „Legalizing Homosexuality: Are Our Values at Stake“ ein. Da der Umgang mit Homosexualität in Uganda ein sehr schwieriges Thema ist und politisch äußerst kontrovers diskutiert wird, war meine Teilnahme schnell beschlossene Sache.Über den Gesetzesentwurf der sogenannten „Anti-Homosexuality Bill“ als Hintergrundinformation habe ich bereits berichtet.
Ein weiterer Muzungu und ich sind die ersten, welche zum angekündigten Beginn um 13.30 Uhr zu den, sich in den Vorbereitungen befindlichen, Organisatoren stoßen. Um die Zeit bis zum Eintreffen der Redner zu füllen folgt auf das obligatorische Gebet eine Vorstellungsrunde. Diese Chance wird zugleich von einigen Studenten genutzt ihre Meinung kundzutun und sich klar zu positionieren durch Statements wie „No Homosexuality in Uganda“. Als der letzte Redner gegen 15.00 Uhr eintrifft ist der Hörsaal nun auch gut gefüllt, vorwiegend mit Studenten der Geisteswissenschaften.
Als erster Redner richtet Comrade Olara vom Pan African Movement sein Wort an das Publikum. Sein Thema ist der Inhalt der „Anti-Gay Bill“. Den Gesetzestext trägt er bemüht sachlich, mit gezielten Kommentaren und Erläuterungen versehen vor. Es erstaunt in welch blumiger Sprache und wie detailliert der Gesetzesentwurf formuliert ist. Es wird bis ins Detail beschrieben welche zwischenmenschlichen Handlungen, mit genauer Erläuterung des Zusammenspiels von beteiligten Körperteilen und Körperöffnungen, unter dieses Gesetz fallen. Darüberhinaus findet die Bestrafung von homosexuellen Handlungen mit Minderjährigen und wehrlosen Menschen besondere Betonung. Zuletzt wird Schwulen noch ein zu hohes Maß an weiblichen Hormonen im Körper zugeschrieben.
Ndugu Kojo Ablode tritt als zweiter Redner auf. Sein Einstiegsthema sind die afrikanische Identität und Kultur. Durch Hervorheben der afrikanischen Identität, als bewusstseinsstärkende Maßnahme, wird gezielt eine persönliche Ebene zu den Studenten aufgebaut.
Vor allem Amerika, Europa und Großbritannien werden alles Möglichen denunziert, begonnen bei wirtschaftlicher Ausbeutung bis hin zu Kulturimperialismus. In gleicher Weise wird die Verantwortlichkeit der meisten Probleme Afrikas diesen Nationen zugesprochen.Um den Bogen zu schließen folgt das Fazit „Africa has no problems“.
Nach diesem psychologisch höchst raffinierten Einstieg findet der äußerst begabte Redner Ablode nahezu den kompletten Hörsaal hinter sich versammelt. Es gelingt ihm die Studenten zu einer ekstatischen Interaktion zu bewegen. Auf seine gezielte Interaktion mit dem Publikum folgen Sprechchöre, welche seine Thesen mit voller Zustimmung bekräftigen.
Das Publikum bereits mitgerissen und volles Vertrauen genießend kommt Ablode erst sehr spät auf das Thema Homosexualität zu sprechen. Er benutzt eine sehr bildliche Sprache und zieht den Vergleich von Homosexualität zu einer an einem Mangobaum wachsenden Orange. Homosexualität sei ein Exportprodukt reicher westlicher Gesellschaften, auf der Suche nach aufregenden Erlebnissen und in der afrikanischen Gesellschaft selbst nicht existent. Es wird der Aufruf angeschlossen die Familie und das Umfeld vor dem Eindringen Homosexueller zu beschützen. Auch diesen Thesen folgt die breite Zustimmung des Publikums in Sprechchören.
Pastor Martin Sempa tritt als letzter Redner vor das Auditorium. Sempa nutzt die afrikanische Geschichte als Einstieg. Unter Aussparung von Homosexualität wird beschrieben in der afrikanischen Gesellschaft müsse man einfach wissen, dass es Dinge gebe die man tun kann und welche die man nicht tun kann, die zur Schande der Familie für Generationen führe. In der Geschichte aller ugandischer Königreiche, welche viel älter seien als Amerika, habe es nie Beziehungen zwischen Männern gegeben. Unter detaillierter Erläuterung von Analverkehr wird Homosexualität als ungewöhnlich, unnatürlich und entgegen der Natur beschrieben. Afrika dürfe seine Traditionen nicht über Bord werfen nur weil Obama Gelder, Stipendien und einige Visa bringe. Amerika trete als Sodomie importierender Imperialist auf. Schwule würden problemlos Stipendien und Visa für Amerika erhalten, jedermann müsse nur zur Botschaft gehen, von politischer Verfolgung erzählen und sich wie eine Frau verhalten. In gleicher Weise verhalte es sich mit HIV welches durch Schwule von Amerika aus verbreitet worden sei. Für die Folgen müssten nun die Regierungen der betroffenen Länder für Medikamente und Kondome bezahlen. Darüberhinaus seien Kondome eine Hauptursache für die Verbreitung von HIV durch das Hervorrufen außerehelichen Geschlechtsverkehrs. Wie bereits Ablode gelingt es auch Sempa die Studenten mitzureißen, ihre volle Zustimmung zu erhalten und eine stark homosexuellen feindliche Stimmung im Hörsaal anzuheizen. Von Homosexualität sprechend benutzt Sempa vorwiegend den Begriff Sodomie, herkömmlich den Geschlechtsverkehr mit Tieren beschreibend. Um die „Abartigkeit“ von Homosexualität zu demonstrieren präsentiert er Bilder, welche zeigen sollen was Schwule in ihren Schlafzimmern so treiben, angeblich von ihm selbst recherchiert. Die dem Publikum vorgestellten Bilder scheinen einem Hardcore-Schwulenporno der 80-iger Jahre entnommen und erübrigen jede weitere Beschreibung. Zur weiteren „Aufklärung“ wird noch ein Anti-Schwulen-Propagandafilm gezeigt. Ein Ausschnitt daraus bezieht sich auf die berühmte Rede Hillary Clintons vor der UN Vollversammlung in Genf 2011. Auf den Teil der Rede mit der Forderung “gay rights are human rights and human rights are gay rights” füllt ein Raunen und Gelächter den gesamten Hörsaal. Durch Sempa mitgenommen und angeheizt scheint es für die versammelten Studenten so aberwitzig, dass Homosexuellen Menschenrechte zu teil werden sollen. Um seine Argumentationskette zu schließen bezieht sich Sempa noch auf die Bibel. In der Bibel stünde Böses müsse bekämpft werden und Homosexualität sei böse. Wenn die Infiltrierung Schwuler nicht anders gestoppt werden könne müsse dies notfalls durch den Tod geschehen. Zum Abschluss schließt er die Warnung an, das Praktizieren von Homosexualität mache es nicht nur sehr wahrscheinlich an AIDS zu sterben sondern führe auch zum Verlust der Kultur.
Die Teilnahme an diesem Podium war, obwohl psychologisch und soziologisch äußerst interessant sehr erschreckend und beängstigend für mich. Ich habe nie zuvor erlebt wie ein begabter Redner so einfach eine Zuhörerschaft manipulieren, mitreißen und eine extreme Gruppendynamik anheizen kann. Ich habe nun eine Vorstellung wie es charismatischen Diktatoren weltweit immer wieder gelingt Menschenmassen hinter sich zu versammeln und zu bedingungslosem Gehorsam zu bewegen.
Noch viel nachdenklicher stimmt mich, dass dieses Publikum vorwiegend aus gut gebildeten Studenten der Geisteswissenschaften bestand. Die zukünftige Intelligenz und Elite Ugandas.
Eine solche Veranstaltung, welche nichts mit Wissenschaft zu tun hat und ohne nur ein sachliches Argument auskommt, lediglich mit Gefühlen und Ängsten spielend wäre an einer europäischen Universität unvorstellbar.
Durch das Verhalten des Publikums als Ganzes wurde mir klar, dass die „Anti-Gay Bill“ nicht nur ein Vorstoß weniger extremer Politiker ist, sondern die Homophobie tief in der Gesellschaft verwurzelt ist und der Gesetzesentwurf breite Zustimmung in der Bevölkerung erfährt.
Ein Ethik Professor der schwedischen Linköpings universitet nahm auch an dem Podium teil. Im Anschluss an die Veranstaltung erzählte er mir mehr über die psychologischen Aspekte dieser Reden.
Er nannte sowohl Ablode als auch Sempa sehr gefährliche Persönlichkeiten, zog Vergleiche zu Hitler und bezeichnete die miterlebten Vorgänge als reinen Faschismus.
Darüberhinaus erläuterte er, dass es in der afrikanischen Kultur ursprünglich keine Homophobie gebe, es sei sogar die Homosexualität Königs Kabaka Mwanga von Buganda dokumentiert.
Die Feindlichkeit gegenüber Homosexuellen werde hauptsächlich von, aus Amerika stammenden, fundamental christlichen Kirchen ins Land getragen und propagiert.
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